Foto: Futurium
Die Vermessung der Umwelt
SenseBox
Überall auf der Erde erforschen Wissenschaftler*innen wichtige Phänomene, um unsere Welt besser zu verstehen. Je größer das Projekt, desto mehr prüfende Augen und helfende Hände werden benötigt. Deshalb setzen Thomas Bartoschek und sein Team mit dem „Baukasten für internetfähige Umweltmessstationen“ ganz auf das Engagement von Bürger*innen.
Foto: Futurium
„Man kann sich unsere senseBox ganz gut wie einen Minicomputer vorstellen, an den viele Sensoren für verschiedene Umweltereignisse angeschlossen werden können“, erklärt der Geowissenschaftler. „Für Wetterphänomene wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder Luftdruck, Lichtphänomene wie Beleuchtungsstärke oder UV-Strahlung oder Luftqualität wie Feinstaubbelastung oder Stickoxide. Die senseBox kann dann einfach im Garten, auf dem Balkon oder auf dem Dach montiert werden und ihre Messwerte per WLAN, Funk oder ähnlichem ins Internet übertragen.“
Wir nehmen die Zukunft selbst in die Hand
Damit alle mitmachen können, setzt Bartoschek auf ein simples DIY-Prinzip. Der Bausatz ist zügig zusammengebaut und kann mit unterschiedlichen Teilen bestückt werden. Alle Messergebnisse werden automatisch per Internet übermittelt und auf einer digitalen Landkarte angezeigt. Dort können Interessierte diese Daten anschauen, analysieren und für eigene Projekte oder Forschung weiterverwenden. Je mehr Daten von unterschiedlichen Orten vorliegen, desto besser lassen sich damit neue Konzepte für Umweltschutz und Luftqualität planen.
Foto: SenseBox
Offen für alles
Mittlerweile sind weltweit 4.200 senseBoxen im Einsatz, die schon 2,5 Milliarden Werte gemessen haben. Anhand der Messungen von Temperatur, Luftfeuchte, Luftdruck, Beleuchtungsstärke, UV-Strahlung oder Feinstaubbelastung können wir beispielsweise ablesen, wie sich der Verkehr auf die Luftqualität auswirkt. So ergänzen die „Kisten mit Sinn“ klassische Wetterstationen – und liefern oft deutlich detailliertere Ergebnisse. Das liegt nicht zuletzt an der bewussten Offenheit des Systems: „Wir haben die openSenseMapextra so gestaltet, dass auch andere Geräte ihre Messdaten darauf übertragen können – sogar zu Faktoren, die wir selbst gar nicht messen. Zum Beispiel sind viele Feinstaubgeräte vom Luftdaten-Projekt aus Stuttgart und dem EU-Projekt HackAir mit dabei.
Alle Daten sind für jeden frei verfügbar. Klimatologen, die zum Stadtklima forschen, können darauf zugreifen. Aber auch App-Entwickler oder Journalisten, die über lokale Umweltprobleme berichten möchten.“ Der grundsätzliche Vorteil solcher Open-Source-Projekte, die von Freiwilligen „gefüttert“ werden, wird beim Vergleich von Google Maps vs. Open Street View besonders deutlich. Auf der offenen Karte sind wesentlich mehr Details gespeichert als bei der Google-Variante.
Beispiel Berlin
In Berlin hat das Futurium zusammen mit Bürger*innen bereits 50 senseBox-Messstationen aufgestellt. Die hauseigene senseBox auf dem Dach hat zusätzliche Sensoren für Wind und Niederschlag. Die Daten werden im Futurium Lab auf einer interaktiven Reliefkarte dargestellt. Darauf können Besucher*innen die aktuelle Luftqualität der Stadt in Echtzeit ablesen. „Die Berliner Daten werden vor allem durch die senseBoxen befüttert, die das Futurium an interessierte Bürger*innen verteilt hat“, ergänzt Bartoschek. „Man kann dort direkt erkennen, wie sich Feinstaub oder Temperatur in Berlin bei „Rush-Hour“, „Kaminaktivität“ oder „Tag/Nacht“ verändern.“
Wer möchte, lernt in Workshops außerdem, was mit dieser vielseitigen Box alles möglich ist – und wie sich jeder von uns selbst einbringen kann. Denn gerade für die Stadtplanung der Zukunft ist es sehr wichtig, dass Bürger*innen eigenständig aktiv werden und Infos aus ihrem Kiez sammeln. Wo sollte eine Geschwindigkeitsbegrenzung eingeführt werden? Lohnt sich ein Diesel-Fahrverbot? Wo herrscht aktuell dicke Luft – und warum?
Citizen Science – Laien willkommen
Schon der Journalist und Aktivist Robert Jungk setzte Anfang des 20. Jahrhunderts auf sogenannte Zukunftswerkstätten, um Bürger in Planungsprozesse einzubeziehen. Aus seiner kreativen Planung „von unten“ hat sich die heutige Citizen Science entwickelt, bei der interessierte Laien auch ohne großes Vorwissen in der Wissenschaft mitmischen können. Ganz egal, ob sie Insekten zählen, Bilder vergleichen oder Grabsteine fotografieren – Bürgerwissenschaftler*innen übernehmen Aufgaben, die für Forscher*innen von unschätzbarem Wert sind.
Gerade im historischen Bereich häufen sich die Erfolgsgeschichten, da dort viele Quellen ohne helfende Schüler*innen, Student*innen, Rentner*innen und Teilzeithistoriker*innen wahrscheinlich für immer in den Archiven verstauben würden. So können Bürger*innen ihre persönlichen Fähigkeiten ausspielen und gleichzeitig erleben, wie die Weisheit der Vielen Wirkung zeigt.
Die Zukunft geht uns alle an
Durch Messungen vor der eigenen Tür werden Klimakrise, Luftverschmutzung oder Ozonbelastung plötzlich viel fassbarer. Die senseBox inspiriert sogar Menschen, das Projekt aus eigenem Antrieb weiterzuentwickeln. „Ein Student hat z. B. einen Algorithmus entwickelt, wo senseBoxen am besten aufgestellt werden sollten, um besonders effizient zu messen“, freut sich Bartoschek.
Gleichzeitig ist es wichtig, die Wissenschaft aus ihrem Elfenbeinturm zu holen. Gerade große Probleme wie die Klimakrise lassen sich nur lösen, wenn Gesellschaft, Politik und Wissenschaft an einem Strang ziehen. Und genau da setzt die Bürgerwissenschaft an. Denn nur, wenn wir uns aktiv einbringen, können wir über unsere gemeinsame Zukunft wirklich mitentscheiden. Zum Beispiel mit Messungen, die als Grundlage für eine vernünftige, lebenswerte Verkehrsplanung und Stadtpolitik dienen können.